Mittwoch, 29. Juni 2011

Wie ein Gebirgsnest, wie Tannengrün


Der Tag
ist in Sent zu Hause

Dort wird er geboren,
verbringt er seine frühe Zeit,
verfertigt er seine ersten Witze
und lacht noch selbst darüber

Wenn alle Versuche mit Sand und Steinen
hinter ihm liegen,
ist der Tag schon fort,
hat er Sent verlassen,
wie ein Gebirgsnest,
wie Tannengrün
oder einen schweren Dialekt

nach Marie-Luise Kaschnitz

Dienstag, 28. Juni 2011

Sent

Lausanne Ouchy

Au revoir, Avenue de la Harpe


und was geschieht
schliesslich
mit den rosen?

sie werden begrüsst.
wachstum, grünspan oder lack dazwischen,
das ist weniger wichtig.

begrüsst und verabschiedet.
willkommen und dahin.
aha.

Marie-Luise Kaschnitz

Dienstag, 21. Juni 2011

Wir zeichnen keine langen Flure mehr


wir zeichnen keine langen flure mehr
nur ungenau
ich möchte gern
die türen einzeichnen
nicht die zimmer
und in jede tür
eine hölzerne kugel
und jede kugel
neu
rot
oder 
blau

marie-luise kaschnitz

Und nach dem Abschied: Worte


aber man muss sich abfinden
mit den himmeln,
die man halten kann

und nach dem abschied:
worte,
die aufflackern werden,
holunder auf den wiesen,
die menschen haben ihn gern,
auch vor der zeit

auf die fragen
werde ich überall
antwort wissen


schneegeister,
wir wollen uns in dieser hoffnung trennen,
mein schwesterlein,
und das am hellichten tag

marie-luise kaschnitz

Freitag, 17. Juni 2011

Ein lauer Tag, kein Schrei


dabei
war es ein lauer tag,
kein schrei

das himmelsblau
wurde gerade erfunden

marie-luise kaschnitz

Donnerstag, 16. Juni 2011

Anbauten in den Halbschlummer


anbauten
in den halbschlummer
oder was sonst
gärten 
heisst

der teich
ist immer nahe
die ziellose wolke
kurz vor der abzweigung,
die ihr nicht geht,
als himmelsstrich
und als die summe
von zwei oder drei
waisenhausschritten

aber der ausblick
ist gut
von da oben

nach marie-luise kaschnitz